So gut wie neu

Elektrogeräte reparieren und wiederverwenden

Heinrich Jung und Blazej Kotwicki haben etwas gemeinsam: beide arbeiten in Firmen, die Elektrogeräte reparieren und wiederverwenden. Die Geräte könnten allerdings unterschiedlicher nicht sein: Heinrich Jung kümmert sich in seiner Firma „Blitzblume-Ingelheim“ um zentnerschwere Waschmaschinen, Blazej Kotwicki hat es bei „asgoodasnew“ mit federleichten Smartphones zu tun. Das Motto beider Firmen ist dasselbe: Reparieren statt wegwerfen.

1. Der Waschmaschinendoktor

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Reparieren und jonglieren: Heinrich Jung mit neuen Umwälzpumpen (Quelle: H. Jung)

 „Der Waschmaschinendoktor ist eine Reparaturanleitung, die ich vor 14 Jahren geschrieben habe. Ich wollte damit den Reparaturgedanken fördern und unterstützen“

Heinrich Jung ist gelernter Elektromeister. Er ist bekannt in der Szene der Selbstreparierer und Wiederverwender, sein Online-Handbuch eine Bibel der Selbstreparatur: www.waschmaschinendoktor.de.

 

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www.waschmaschinendoktor.de

ElektroG

Ich treffe Heinrich Jung bei einer Fachtagung des Berliner „ReUse“-Vereins. Jung ist bei diesem Symposium als Referent eingeladen. Es geht um eine ziemlich trockene Materie: die geplante Novellierung des Elektroaltgerätegesetzes, kurz ElektroG. Der Gesetzesentwurf aus dem Umweltministerium soll noch in diesem Jahr im Bundestag verabschiedet werden. Doch gibt es viele Änderungswünsche, denn die Fachleute aus der Branche der Wiederverwerter sind enttäuscht, dass die Wiederverwendung und Reparatur von gebrauchten Geräten vom neuen ElektroG mehr eingeschränkt als gefördert wird.

Heinrich Jung sorgt mit einem pointierten Vortrag für einen ersten Höhepunkt bei dieser ganztägigen Veranstaltung. Sein Betrieb ist von den geplanten Änderungen im ElektroG allerdings kaum betroffen. Denn Jung sammelt keine ausrangierten Altgeräte, sondern repariert bei seinen Kunden vor Ort.

Elektrogeräte reparieren und wiederverwenden
Heinrich Jung (Quelle:SWR)

Neugeräte ? Nein, danke !

Seine Kunden wollen meistens ganz bewußt kein Neugerät anschaffen, erzählt der Mittfünfziger,  sondern lieber das alte noch einmal reparieren lassen. Und wenn doch einer mit dem Gedanken einer Neuanschaffung spielt, dann rechnet Jung ihm vor, „dass man mittlerweile vier neue Geräte kaufen müßte, um ein altes Gerät zu ersetzen“. Was er damit meint: früher hielt eine Waschmaschine gut 20 Jahre, heute beträgt die Lebensdauer neuer Geräte gerade mal ein Viertel dieser Zeit.

Schmutzige Wäsche

Elabel
Energielabel einer modernen Waschmaschine

Aber fünf Jahre sind doch eigentlich auch genug, möchte man einwenden. Schließlich kommen ständig neue Haushaltsgeräte mit verbesserter Energiebilanz auf den Markt. Sollten wir etwa einen Denkfehler gemacht haben, als wir unsere alten Stromfresser aus dem Haushalt verbannt haben ? Heinrich Jung gibt zu bedenken, dass das Energieeinsparpotenzial bei Waschmaschinen längst ausgereizt sei und der Unterschied zwischen A+ und A-Dreifach-Plus nur noch Marketing. Und wenn im ECO-Waschgang die 60-Grad-Wäsche mit gerade mal 50 Grad gewaschen werde, nur damit die Energiewerte schön aussehen, dann stimme etwas nicht. Und die Wäsche werde dabei auch „net mehr richtig sauber“.

 

Berechtigte Zweifel

Man kann dem sympathischen Saarländer in seiner Skepsis gegenüber den Energie-Spar-Versprechen der Hersteller gut folgen. Denn was von der Industrie gar nicht erst erzählt wird: der größte Teil der Energie fällt immer bei der Herstellung an. Wenn eine erfolgreiche Reparatur also die Laufzeit eines alten Gerätes verlängert, führt das automatisch zu Energieeinsparungen, weil einfach weniger neue Geräte gebraucht werden. Dennoch werden die Hersteller natürlich nicht aufhören, ihre A-Dreifach-Plus-Geräte zu propagieren. Denn Hersteller leben vom Verkauf, nicht von der Reparatur.

 

Reparatur ohne Ersatzteile

„Bei sehr vielen Fehlern brauche ich überhaupt keine Ersatzteile. Die kann ich ohne Materialeinsatz vor Ort reparieren: Verstopfungen, Fremdkörper, alles Mögliche eben. Dass ich ein Ersatzteil brauche ist relativ selten.“

ersatzteileinsatz
Ersatzteileinsatz bei der Blitzblume-Ingelheim (Quelle: Heinrich Jung)

 

Nicht ohne Stolz präsentiert Heinrich Jung seine eigene Ersatzteilstatistik, die er Anfang der 1990er Jahre über einen längeren Zeitraum erstellt hat.

Bei vielen Problemen braucht man kein Ersatzteil, ja man braucht im Grunde noch nicht einmal den Waschmaschinendoktor, meint Jung mit selbstironischer Verschmitzheit. Man könne sich im Prinzip einfach selbst helfen:

„Einfach das Flusensieb aufmachen, wenn die Maschine nicht abpumpt. Das können aber viele Verbraucher heute gar nicht mehr, weil sie es einfach nicht mehr wissen. Das finde ich sehr schade. Da sollte man sich ein bissel was zutrauen.“

 

Hilfe zur Selbsthilfe

Ein bissel was zutrauen sollten sich die Menschen. Das wünscht sich Heinrich Jung, der für Bündnis 90/Die Grünen im Ingelheimer Stadtrat sitzt. Aber wieviel Mut braucht man denn als Selbstreparierer ? Heinrich Jung denkt einen Moment nach, bevor er die Frage beantwortet:

„Na ja, was heißt mutig ? Als ich ein Kind war, da war das normal. Man hat einen Schraubenzieher genommen und etwas auseinander geschraubt und wieder zusammen. Und dann funktionierte das vielleicht wieder oder vielleicht auch nicht. Aber man hat es probiert. Heute sagen die Sicherheitsfreaks: Oh, nee bloß nicht, da ist ja ein Stecker dran !
Ich bin Elektromeister, ich kenn die Gefahren, ich würde auch niemandem zuraten, der nichts davon versteht. Aber auch Laien können sich schlau machen, auch Laien haben einen Beruf und ein Wissen.“

 

Waschmaschinendoktor.de Fehlersuche nach Programmablauf (Quelle:H. Jung)
Waschmaschinendoktor.de
Fehlersuche nach Programmablauf
(Quelle:H. Jung)

Von Ghana bis Australien

Und wo machen sich Laien am besten schlau ? Natürlich im Netz bei Waschmaschinendoktor.de ! Da auf der ganzen Welt nach seiner Methode repariert wird, kämen auch von überall her die Dankesschreiben.

 „Ich kriege jede Menge e-mails und Nachfragen. Die letzte mail kam aus Ghana! Aber Südamerika, Südafrika und sogar Australien waren auch schon dabei !“

Ein durch und durch liebenswürdiger Idealist, dieser Heinrich Jung, der aus Leidenschaft Waschmaschinen repariert und aus Überzeugung keine Neuware anbietet.

 

Heinrich Jung Blazej Kotwicki
Ob Waschmaschine oder Smartphone: reparieren statt wegwerfen. Heinrich Jung (li.) Blazej Kotwicki (re.) (Quelle: SWR / asgoodasnew)

 

Elektrogeräte reparieren und wiederverwenden

So gut wie neu

Die Leidenschaft für das Reparieren und der Verzicht auf Neuware verbindet den Waschmaschinendoktor aus Ingelheim mit den Smartphone-Refurbishern von „asgoodasnew“. Eine Firma, die in Frankfurt/Oder gebrauchte Mobiltelefone wiederaufarbeitet.

„Wir machen momentan so um die 20tausend Geräte im Monat. Im letzten Jahr hatten wir einen Umsatz von 21 Millionen Euro“,

Kamil Fijalkowski
Kamil Fijalkowski (Quelle: asgoodasnew)

 

Kamil Fijalkowski von asgoodasnew nimmt wie Heinrich Jung am Berliner Expertentreffen teil. Mittlerweile ist er für die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens verantwortlich, am Anfang aber hat er selbst noch kräftig mitrepariert:

 

„Als ich dazu gestoßen bin zu dem Unternehmen, Mitte 2009, da waren wir insgesamt sechs oder sieben Leute. Da hat jeder noch alles gemacht, wie man das so kennt aus einem Start-Up. Wir haben uns die Geräte angeguckt, haben sie getestet, gehen die Lautsprecher, sieht das Display in Ordnung aus ? Dann haben wir die Geräte sauber gemacht, verpackt , und dann gingen sie wieder in den Verkauf. Also, am Anfang war alles ganz, ganz einfach. Das hat sich dann weiterentwickelt und inzwischen sind 115 Mitarbeiter an zwei Standorten beschäftigt“

 

Elektrogeräte reparieren und wiederverwenden
Refurbishment (Quelle: asgoodasnew)

Qualifizierte Nerds

Diese Mitarbeiter seien hochqualifiziert, erzählt Fijalkowski, obwohl es für den Beruf des „Refurbishers“ keine wirkliche Ausbildung geben würde. Bei Smartphones seien aber ohnehin andere Qualitäten gefragt:

„Wir haben ganz viele Leute, die schon immer ihr eigenes Handy repariert haben. Wir nennen sie liebevoll „Nerds“, also Geräte-Nerds, die hatten immer ihr iPhone und sind auf Apple fixiert. Die haben zuhause schon jedes Gerät auseinandergebastelt. Und von denen gibt es ganz viele, die dann bei uns anfangen, die sich das selbst beigebracht haben.“

 

Riss im Display
iPhone mit Riss im Display

Die meisten Smartphones, die in Frankfurt/Oder repariert werden, sind vorher von ihren Besitzern buchstäblich fallengelassen worden:

„Ganz klassisch bei den Smartphones ist der Displaybruch. Das sind ungefähr 50 Prozent aller Schäden, die wir reparieren. Das ist auch vom Hersteller unabhängig. Ein Apple fällt genauso gern auf den Boden wie ein Samsung. Und geht genauso gern kaputt“

 

Sie kaufen’s

Und wenn es passiert ist, stellt sich für die Besitzer die Frage: reparieren lassen oder verkaufen ? Hier kommt „wirkaufens.de“ ins Spiel, das Gegenstück zu „asgoodasnew“. Hier werden die Geräte angekauft, hier beginnt der Wiederverwendungskreislauf:

Wirkaufensgross
Handy verkaufen bei wirkaufens.de

„Man guckt, welches Gerät man hat, macht ein paar Angaben zum Zustand, ob Zubehör dabei ist, ob das Gerät funktioniert, ob die Batterie funktioniert. Und kriegt dann sofort einen Preis angezeigt von unserem System. Das ist so ein Preis-Algorithmus, der täglich zwischen zehn- und hunderttausend Preise im Internet abgleicht und den optimalen Ankaufspreis errechnet. Wenn man einverstanden ist, mit dem Preis, den wir vorgeschlagen haben, schickt man das Gerät kostenfrei an uns. Und wenn alles stimmt, kriegt der Kunde innerhalb von wenigen Tagen das Geld auf sein Konto.“

 

Selbstversuch 1

Diese Ankaufsprozedur will ich natürlich ausprobieren. Für mein gebrauchtes iPhone 4 bietet man mir bei wirkaufens.de knapp 110 Euro an. Ein korrekter Preis, der aber auch nur dann gezahlt würde, wenn das Gerät absolut fehlerfrei ist. Ohne Kratzer, ohne Dellen. Für Geräte mit kleinen Gehäuseschäden gäbe es bei wirkaufens.de aber immerhin auch noch rund 54 Euro.

Iphone4Anfrage
Knapp 110 Euro für’s iPhone 4

Selbstversuch 2 und 3

Wie stehts nun beim großen Desktoprechner ? Den iMac mit 20 Zoll-Bildschirm habe ich vor einigen Jahren gebraucht für knapp 700 Euro gekauft und vor kurzem noch mit einer 2-Terrabyte-Festplatte für nachgerüstet. Das Gerät müßte ungefähr 400 bis 500 Euro wert sein. Ich gebe also die Daten ein und bin überrascht, als man mir tatsächlich rund 440 Euro anbietet.

Auch für den dritten Testkandidaten, ein PowerBook G4 mit 12 Zoll Bildschirm, würde ich noch rund 40 Euro bekommen. Sofern der Akku einwandfrei funktioniert. Mit defekter Batterie bekäme ich nur noch den Trostpreis von 50 Cent.

 

Aus zwei mach eins

Aber ich habe meine drei Geräte ja nur zu Testzwecken angeboten. Denn mein Powerbook würde ich niemals zum Recyclen geben. Immerhin habe ich es vor Jahren selbst aus verschiedenen defekten Rechnern zusammengebaut, sozusagen neu erschaffen. Das Mainboard stammt sogar von einem Refurbisher aus den USA ! Zwei Wochen habe ich damals auf die Lieferung der Hauptplatine gewartet und sie schließlich in Berlin-Schöneberg beim Zoll abgeholt. Seitdem nenne ich alle meine Festplatten zärtlich „Zollamt“

 

Elektrogeräte reparieren und wiederverwenden
Unverkäuflicher Schönling: Powerbook G4/12

 

Die Methode der Ersatzteil-Kombination kennt man natürlich auch bei asgoodasnew:

„Wir haben oft den Fall: bei einem Gerät ist das Display kaputt, beim anderen die Platine, da wird dann aus zwei Geräten eins gemacht. Warum sollten wir Ersatzteile kaufen, wenn wir aus zwei Geräten für wenig Geld eins machen können, was tipptopp funktioniert.“

 

 

Garantieversprechen

30 Monate

Die Geräte bei asgoodasnew funktionieren so gut, dass sich die Firma nicht davor fürchtet, 30 Monate Garantie zu geben. 30 Monate, ist das nicht ein sehr mutiges Angebot ?

 

„Nein, ist es nicht, wenn man weiß, was man mit den Geräten macht. Wenn man die ordentlich aufarbeitet, dann halten die auch so lange. Das einzige Hindernis ist dann meistens die Software, nicht die Hardware“

Was Fijalkowski meint, passiert Apple-Anwendern derzeit gerade mit dem 4er iPhone. Das Gerät ist zwar technisch noch einwandfrei, man kann telefonieren und fotografieren, Interviews aufzeichnen und so weiter. Aber das neue Betriebssystem IOS 8 läßt sich bei dieser Modellreihe nicht mehr installieren. Dadurch kommt es bei einzelnen Programmen zu Problemen. Die Textverarbeitung „Pages“ etwa verweigert seit einiger Zeit das Speichern von Texten in der Cloud.

 

Dumme Gedanken

Man könnte deshalb schon auf dumme Gedanken kommen, und dem Herstellerwunsch folgend, ein neueres Modell anschaffen. So ein schickes Ding mit größerem Bildschirm, einer besseren Kamera und einer schnelleren Grafik. Aber muss das wirklich sein ?

„Es gibt Leute, die brauchen immer jedes Jahr das aktuelle Modell. Es gibt aber zum Glück auch genügend Leute, denen reicht das Vorgängermodell. Erstens kriege ich das viel günstiger und zweitens: den Unterschied zum Nachfolgemodell kann man mit dem bloßen Auge nicht feststellen ! Ob das Display nun 0,2 Zoll größer ist und ein paar Pixelpunkte mehr hat, ob da jetzt eine Seite innerhalb von zwei Nanosekunden aufgeht oder drei Nanosekunden braucht, das kann man als Mensch nicht mehr feststellen.“

 

Elektrogeräte reparieren und wiederverwenden
Staubfreier Arbeitsplatz bei asgoodasnew (Quelle: asgoodasnew)

 

Vorbild für die Hersteller

Kamil Fijalkowski ist stolz darauf, dass seine Firma der Marktführer in Sachen Online-Wiederverwendung ist. Und was in Frankfurt/Oder erfolgreich durchgeführt wird, wird sogar von Herstellern nachgeahmt:

„Apple kam ja letztes Jahr auf den Trichter, selbst dieses Trade-In-Programm aufzusetzen, so dass man sein altes iPhone abgeben kann. Die haben gemerkt, da ist Nachfrage da. Klar machen die das nicht aus Nächstenliebe oder aus Umweltgründen, sondern weil sie damit den Verkauf der neuen Geräte ankurbeln wollen.“

 

Selbstversuch 4, 5 und 6

Das Wiederverwendungs- und Recyclingprogramm schaue ich mir bei Apple natürlich auch im Selbstversuch an. Dazu gebe ich die Daten meiner drei Geräte ein und bin enttäuscht vom Ergebnis: gerade mal 112 Euro würde ich für den iMac bekommen, knapp 50 Euro für das iPhone 4 und das alte PowerBook will man bei Apple überhaupt nicht mehr annehmen.

Überraschung zum Schluß

Während ich noch über diese Zahlen nachdenke, wird bei  „Stiftung Warentest“ im März 2015 der Beitrag „Reparatur­services für Smartphones im Test: Nur einer repariert sehr gut und flott“ veröffentlicht.

Ich bestelle den kompletten, 8-seitigen Test als PDF und lese auf Seite 2: „Nur ein Hersteller überzeugte. Hersteller Apple regulierte den Schaden am besten: Der Testsieger tauschte das ramponierte Smartphone gegen ein intaktes vom selben Typ aus“.

Auf Seite 3 gehen die Warentester ins Detail: „Apple repariert nicht, Apple tauscht aus. Für das defekte Smartphone gibt es ein gleichwertiges Gerät. Dessen Gehäuse, Displayglas und Akku sind meist neu, die innen liegende Elektronik ist gebraucht, aber generalüberholt.“

Stiftung Warentest findet das toll und gibt Apple die Bestnote.

 Aber, austauschen statt reparieren und nicht reparieren statt wegwerfen ?

relais30 wird da wohl noch mal nachfragen müssen.

 

r30SW.jpg (Atkinson)