Der Winter kommt
„Hoffentlich haben Sie an die Winterreifen gedacht !“, sagt der Wettermann im Fernsehen. Gerade hat er die Aussichten für den nächsten Tag geschildert. „Schneeregen und gefrierende Nässe“ soll es morgen geben.
Ich habe tatsächlich an die Winterreifen gedacht und heute einen halben Tag draußen am Auto geschraubt. Und die Reifen am Ende sogar zweimal gewechselt.
Yeti mit Schlagschrauber
Schuld an der doppelten Arbeit war der Mann mit dem großen Skoda-Geländewagen. Er parkte zwei Plätze weiter und sein Besitzer stand plötzlich hinter mir, als ich gerade mein kleines Auto mit dem Wagenheber vorne rechts angehoben hatte.
„Ich fang bei meinem Yeti auch immer vorne an“, meinte der Mann, „aber für die Radmuttern nehme ich ja lieber einen Schlagschrauber.“ Er kann nicht verstehen, dass sich hier noch einer mit dem Drehmomentschlüssel abquält. Mit einem Drehmoment von 120 Newtonmetern (Nm) wird so eine Radschraube angezogen.
Schmutzige Angelegenheit
„Ja , so einen Schrauber muss ich mir auch mal kaufen“, rufe ich dem Yeti-Mann zu.
„Gibts für fuffzich Euro im Internet“, meint der Mann und schiebt eine leere Schubkarre zu seinem schneeweißen Auto.
„Ganz schön dreckig, Ihre Räder !“, sagt er noch im Vorbeigehen. Ich hebe schuldbewußt die Hände, die auch schon ganz schön dreckig sind. Ich hätte den Wagen vor dem Reifenwechsel wohl noch mal waschen müssen. Jetzt ist es dafür zu spät.
Ich habe mittlerweile die fünf Radschrauben vom anderen Vorderreifen herausgedreht und auf den Bordstein gelegt. Das sieht doch richtig schön aus !
Mit einem Ruck nehme ich nun den Sommerreifen von der Achse herunter und lege ihn neben den Stapel mit den Winterreifen. Die Winterreifen waren hinter unserer Gartenlaube gelagert. Mit dem Handwagen habe ich sie dann heute aus der Kolonie nach vorn an die Straße transportiert.
Verwechslungsgefahr
Damit ich beim Reifenwechsel nichts vertausche, sind meine Reifen natürlich mit speziellen Ventilkappen gekennzeichnet.
Ich nehme also nun „VL“ vom Stapel und bugsiere den Winterreifen auf die Achse. Mit der unteren Schraube fixiere ich das Rad, dann drehe ich die restlichen vier Schrauben von Hand ein. Mit dem Drehmomentschlüssel ziehe ich die Schrauben leicht an, lasse dann den Wagen herab und ziehe die Schrauben mit 120 Newtonmetern fest.
Ruck-Zuck
Plötzlich steht der Mann wieder hinter mir. „Mit nem Akku-Schlagschrauber ist man ruck-zuck in 25 Minuten fertig“, meint er. „Sollten Sie sich auch mal überlegen !“ Er hat nun schwere Gehwegplatten auf der Schubkarre und verschwindet damit auf ein angrenzendes Kleingartengrundstück.
Klick-Klack
„Akku-Schlagschrauber“ – dieses Wort schwirrt in meinem Kopf herum, während ich auf das Geräusch meines Drehmomentschlüssels horche. Immer wenn ein Anzugdrehmoment von 120 Newtonmetern erreicht ist, macht es „Klick“, beim Loslassen dann „Klack“.
Die beiden Vorderreifen sind nun gewechselt und ich versetze den Wagenheber nach hinten. Das Fahrzeug wird wieder hoch gepumpt, bis unter dem Rad etwa zwei Zentimeter Luft sind. Dann noch einen Metallbock zur Sicherheit unterstellen, die Schrauben lösen und das Rad abnehmen.
Wieder kommt der Schubkarrenmann vorbei. „Na, ganz schön anstrengend, oder ?“ Ich nicke ihm zu, greife nach einem Winterreifen und rolle ihn nach hinten. Das Rad wird wieder mit der ersten Schraube unten fixiert, dann drehe ich die restlichen Schrauben von Hand hinein. Danach lasse ich das Auto herunter, mit dem Drehmomentschlüssel geht es dann wieder fünf mal „Klick-Klack“.
Alles unter Kontrolle
Am Ende kommt der Mann noch einmal vorbei und meint: „In der Werkstatt zieh’n sie am Ende ja auch mit dem Drehmomentschlüssel nochmal jede Schraube einzeln an. Besser ist das !“ Recht hat er. Ich nicke ihm noch ein letztes Mal zu und packe dann mein Werkzeug in den Kofferraum. Danach rolle ich erstmal den Handwagen mit den Sommerreifen zur Gartenlaube.
Luftmangel
Nach einer kleinen Mittagspause fahre ich zur Tankstelle, um dort den Reifendruck zu kontrollieren. Immerhin haben die Winterreifen ein halbes Jahr hinterm Gartenhaus gelegen.
Ich beginne beim Reifen vorn rechts und messe tatsächlich nur 1,6 statt 2,2 bar. Der Reifen wird automatisch befüllt und sobald der Wert stimmt, piept es ein paar Mal laut.
Der Supergau
Nun ist das nächste Rad dran. Ich löse die Ventilkappe und lese dabei die Aufschrift: „HL“. Häh…? HL steht für „hinten links“, aber ich bin am Rad hinten rechts!
Schlimme Dinge ahnend laufe ich nach links, zur anderen Seite des Autos, und lese dort auf der Ventilkappe die Buchstaben „HR“.
Ich habe beim Reifenwechsel tatsächlich die Hinterräder vertauscht !!!
Erstmal zum Baumarkt
Nun muß ich zurück zum Parkplatz, um die vertauschten Räder zu wechseln.
Wie es der Zufall will, liegt auf dem Weg ein Baumarkt. Ich könnte dort ja mal schnell schauen, ob es vielleicht günstige Akku-Schlagschrauber gibt. Immerhin ist ja gerade Reifenwechsel-Saison.
Im Baumarkt gibt es Akku-Schlagschrauber in allen Ausführungen, sogar mit Beleuchtung und sagenhaften 400 Newtonmetern Drehmoment.
Ein Modell für „fuffzich Euro“ kann ich allerdings nicht finden, stattdessen aber ein Gerät, das über 400 Euro kostet. Es hat eine drei-stufige Drehmomentregelung – 50, 140 und 205 Newtonmeter – eine Drehzahlstabilisierung, eine elektronische Auslaufbremse und vieles mehr.
Aber 400 Euro für ein Werkzeug, daß ich nur zweimal im Jahr für eine halbe Stunde brauche ? Ohne Akku-Schlagschrauber verlasse ich den Baumarkt und fahre wieder zum Parkplatz.
Halt mal die Klappe bei der Arbeit
Der Mann mit dem Yeti ist natürlich nicht mehr da. Sonst hätte er mir noch sagen können, wo genau er seinen Schlagschrauber für „fuffzich Euro“ gekauft hat. Stattdessen hat er mich von der Arbeit abgelenkt. Sonst wäre mir diese Verwechslung doch wohl nicht passiert, oder ?
„Halt mal die Klappe bei der Arbeit !“ hat mir schon vor Jahren mein Freund Konstantin geraten. Ich hätte heute auf ihn hören sollen.
Aber was sind schon ein paar zusätzliche Newtonmeter, wenn man den schönsten Drehmomentschlüssel der Welt hat.