Alles nur Schrott ?

Im Entwurf für ein reformiertes Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) siegt die betriebswirtschaftliche Vernunft über das ökologisch-verantwortungsvolle Denken. Zu dieser skeptischen Einschätzung kommt der renommierte Umweltjurist Thomas Schomerus im Gespräch mit relais30.

Für den erfahrenen Entsorgungsexperten Ralf Brüning sind Versäumnisse im ElektroG dafür verantwortlich, dass Deutschland bei der Wiederverwendung von gebrauchten Elektrogeräten weit hinter europäischen Nachbarn wie Österreich, Spanien oder Großbritannien zurückliegt.

Noch hat der Deutsche Bundestag einige Monate Zeit, um ein vernünftiges ElektroG zu beschließen.

WEEE_2
WEEE-Kennzeichnung

Seit August 2005 ist im ElektroG die umweltverträgliche Entsorgung von Elektrogeräten in Deutschland geregelt. Mit diesem umfangreichen Gesetz wurde seinerzeit die EU-Richtlinie WEEE in nationales Recht umgesetzt. Und weil die europäische Richtlinie im Juli 2012 eine Neufassung („WEEE 2“) bekommen hat, muß nun auch das deutsche ElektroG reformiert werden. Das Bundesumweltministerium hat dazu im März 2015 einen rund 180 Seiten umfassenden Entwurf vorgelegt, der in der Branche der Wiederverwender wegen verschiedener Unzulänglichkeiten kritisiert wird.

 

 


relais30 trifft den Umweltjuristen Thomas Schomerus und den Entsorgungsexperten Ralf Brüning im März 2015 bei einer Fachtagung in Berlin. Es geht bei diesem Expertentreffen darum, Änderungen und Ergänzungen für den Entwurf der Bundesregierung zu formulieren.

Abfallhierarchie

Schomerus, Thomas
Prof. Dr. Thomas Schomerus (Quelle: Leuphana-Universität Lüneburg)

relais30: Was kritisieren Sie am Entwurf für die Neufassung des ElektroG ?

Schomerus: „Meine Hauptkritik ist, dass die Novelle das ganz wichtige Thema der Vorbereitung zur Wiederverwendung und überhaupt die Wiederverwendung von Elektro-Altgeräten stiefmütterlich behandelt.“

 

 

Dr. Ralf Brüning
Dr. Ralf Brüning (Quelle: Brüning)

 

Brüning: „Wir haben an oberster Stelle die Wiederverwendung, an zweiter Stelle die Vorbereitung zur Wiederverwendung und genau diese beiden Dinge müssen, so wie sie in der Abfallhierarchie europaweit gefordert werden, nun auch in nationales Recht umgesetzt werden.“

 

 


 Akteure

„Über 250 000 Menschen sind inzwischen in der Abfallwirtschaft tätig – einem Wirtschaftsbereich mit ca. 50 Milliarden Euro Umsatz.“ (Bundesministerium für Umwelt)

relais30: Wer ist verantwortlich dafür, dass die Wiederverwendung im Gesetzesentwurf  nicht so behandelt wird, wie es die EU-Richtlinie eigentlich vorsieht ?

Schomerus: „Wir haben hier zwei ganz wichtige Akteure, die ganz einfach die Wiederverwendung von Elektro-Altgeräten NICHT fördern wollen. Das eine ist die Produktionswirtschaft, weil die Produktionswirtschaft natürlich neue Geräte verkaufen möchte. Und das zweite ist die Abfallwirtschaft, weil die Abfallwirtschaft davon lebt, Abfälle zu verwerten und zu beseitigen.  Der eigentliche Markt, das ist die Produktions- und die Entsorgungswirtschaft.“

Brüning: „Die Hersteller haben eine gewisse Lobbyarbeit gemacht, und die haben sie eben gut gemacht.“


Separierungsverbot

„Eine unsinnige Regelung, weil sie genau die Wiederverwendung verhindert !“

 

relais30: Mit welchen juristischen Vorschriften wird im neuen ElektroG die Wiederverwendung von elektrischen Geräten verhindert?

Containerschrott
Elektroaltgeräte im verschließbaren Absetzcontainer (Quelle: Brüning)

Schomerus: „Es gibt im Gesetz zum Beispiel ein Separierungsverbot für Geräte, die bei den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern angeliefert werden. Wenn die Geräte dort gesammelt sind, dann sollen sie möglichst in einem Container zusammenbleiben, möglichst abgeschlossen, denn es passiert natürlich auch viel Diebstahl und ähnliches. Die Geräte sollen nicht weiter separiert werden, nicht getrennt werden in solche Geräte, die wiederverwendet werden können und solche, die der Abfallverwertung zugeführt werden müssen. Das ist eine unsinnige Regelung, weil sie genau die Wiederverwendung verhindert !

Abkippen von Elektroschrott (Quelle: Brüning)
Abkippen von Elektroschrott (Quelle: Brüning)

 

Eine zweite ganz konkrete Regelung ist das Gebot, dass die Endbesitzer die Akkus und Batterien entfernen müssen, bevor sie die Geräte in die Sammelstelle geben. Aber wenn ein Gerät keinen Akku mehr hat, dann ist es nicht mehr gebrauchsfähig. Damit behindert man die Wiederverwendung. Es gibt ganz konkrete Regelungen in diesem Gesetz, die aus Sicht der Wiederverwendung vollständig unsinnig sind. Und die so auch nicht sein müssen!“

 

Rücknahme von Elektrogeräten

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Intakte Geräte auf dem Müll (Quelle: Brüning)

relais30: Wie müßte denn die Rücknahme von Elektrogeräten in den öffentlichen Sammelstellen organisiert sein ?

Brüning: „Viele sagen, die Geräte, die im Recyclinghof ankommen, sind alle kaputt. Dem ist nicht so. Wir haben festgestellt, daß mindestens 50 Prozent aller Geräte technisch noch völlig in Ordnung sind. Ob man die alle vermarkten kann, ist natürlich eine andere Geschichte. Aber es ist ein Riesenpotential da, das man bisher ungenutzt läßt. Wenn ein Gerät nämlich einmal in einen Großcontainer geworfen wurde, dann ist es für die Wiederverwendung verloren.

Deshalb müßte im Prinzip am Recylinghof für jedes einzelne Gerät unterschieden werden, ob es wiederverwendungsfähig ist oder nicht.  Und wenn es noch wiederverwendungsfähig ist, muß es separiert werden. Speziell ausgerichtete Unternehmen müssten dann den Zugriff auf das separierte Material bekommen, so daß man es überprüfen, eventuell reparieren und schließlich der Wiederverwendung zuführen kann.“

 

 


 

Nicht mehr wiederzuverwenden: Monitore im Großcontainer (Quelle:BSR)
Nicht mehr wiederzuverwenden: Monitore im Großcontainer (Quelle:BSR)


Deutschland und die EU

„Einige sind im Bereich Wiederverwendung deutlich weiter: Österreich, Spanien, England, ganz klar.“

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„Ich will nicht behaupten, dass der Entwurf, so wie er jetzt vorliegt, europarechtswidrig ist. Aber er widerspricht zumindest dem Geist, dem Grundgedanken dieser Richtlinie.“ (Thomas Schomerus)

 

relais30: Wie weit bleibt der Entwurf der Bundesregierung hinter den Anforderungen der EU-Richtlinie zurück ?

Schomerus: „Die europäische WEEE-Richtlinie fordert ja, man solle Einrichtungen schaffen, die prüfen, ob Geräte wiederverwertet werden können. Das haben wir NICHT umgesetzt. Wir haben einfach eine Verordnungsermächtigung gemacht. Da KANN man das dann vielleicht mal reinschreiben, vielleicht aber auch nicht. Insofern bleiben wir hinter dieser Richtlinie zurück. Ich will nicht behaupten, daß der Entwurf, so wie er jetzt vorliegt, europarechtswidrig ist. Aber er widerspricht zumindest dem Geist, dem Grundgedanken dieser Richtlinie.“

Brüning: „ Eine Richtlinie kann in nationales Recht transformiert und angepaßt werden. Davon machen die einzelnen Länder unterschiedlich Gebrauch. Deutschland macht es auf seine Art, Österreich und Spanien in anderer Art. Einige sind im Bereich Wiederverwendung deutlich weiter: Österreich, Spanien, England, ganz klar.“


Hoffen auf das Parlament 

relais30: Haben Sie die Hoffnung, daß Ihre Änderungswünsche und Ergänzungen bezüglich der Wiederverwendung im Gesetzesentwurf berücksichtigt werden ?

Schomerus: „Diese kleinen Änderungen sind so OFFENSICHTLICH vernünftig, dass ich auf jeden Fall die Hoffnung habe, daß der Gesetzgeber das erkennen wird. Dafür ist ein Parlament ja auch da. Das Parlament mit den Abgeordneten ist wirklich dafür da, dass die den Regierungentwurf korrigieren und auch mal ihren eigenen Kopf einsetzen!“

Brüning: „Natürlich sind nicht alle Politiker gleichzeitig Elektriker und können das überhaupt sachgerecht einschätzen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das eine sehr schwierige Materie ist, allgemein der ganze Entsorgungsbereich, und dass da sehr viel Aufklärungsarbeit notwendig ist.“

Kritik am ElektroG: Thomas Schomerus (li.), Ralf Brüning (re.)
Kritik am ElektroG: Thomas Schomerus (li.), Ralf Brüning (re.)

Nachhaltigkeit

relais30: Welche Rolle spielt das ElektroG für die nachhaltige Produktion ?

Schomerus: „Das Elektrogesetz ist eigentlich ein Nebengesetz zum Kreislaufwirtschaft-Gesetz, das früher Abfallgesetz hieß. Es behandelt sozusagen die Endphase der Produkte, die Entsorgungsphase. Es gibt aber auch noch auf der Produktionsebene die Ökodesign-Richtlinie mit entsprechenden Durchführungsregelungen: all diese Elektrogeräte sollen ja so konstruiert und produziert werden, dass sie nicht nur energetisch effizient sind, sondern dass sie auch leicht entsorgt werden können. Leicht wiederverwendet oder recycelt werden können. Die einzelnen Bauteile müssen voneinander getrennt werden können. Das passiert leider viel zu wenig. Man muß das in diesem größeren Kontext sehen.“

 


Kreislaufwirtschaft

relais30: Kann man  mit dem ElektroG die Hersteller zur nachhaltigen Produktion verpflichten ?

Schomerus: „Man kann rechtlich gesehen Hersteller zu sehr viel verpflichten, man muß nur immer sehen, wofür das ganze ist. Das ganze ist ja dafür, das wir eine Kreislaufwirtschaft bekommen. Das hat zu tun mit Klimaschutz, mit Ressourcenschutz. Das hat damit zu tun, daß wir die Ressourcen, insbsondere die Sekundär-Rohstoffe nicht verschleudern, nicht nach Afrika oder nach Indien an den Strand schicken, sondern dass wir sie hier im Lande behalten und wiederbenutzen. Am Ende spricht auch die ökonomische Vernunft dafür. Aber vordergründig setzt sich in dem Elektrogesetz nur eine betriebswirtschaftliche Vernunft durch, die leider die großen Themen nicht genügend adressiert.“

 „Vordergründig setzt sich in dem Elektrogesetz nur eine betriebswirtschaftliche Vernunft durch, die leider die großen Themen nicht genügend adressiert.“ (Thomas Schomerus)


 

Das sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) über das neue ElektroG:



Weitere Video-Empfehlungen

ARTE-TV-Dossier „Giftige Geschäfte mit Elektromüll“

Fotos aus dem Video „Recycling von Elektrogeräten (Quelle: Berliner Stadtreinigung BSR)

 

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